Kurs-Kapitel

4.3 Der Schatten

       

Der Begriff »Schatten« wurde ursprünglich von C. G. Jung geprägt, womit er auf die verborgenen Anteile unseres Wesens verwies. Er steht im Gegensatz zur »persona«, den Anteilen, mit denen wir uns als Person identifizieren (siehe erster Schlüssel). Es sind also nicht nur unsere dunklen Seiten, die im Schatten liegen – auch unsere Größe, unsere lichten Seiten können verdrängt worden sein. Wenn wir unser Unbewusstes beleuchten, können wir diese Anteile freisetzen und integrieren. Unser Selbst wird erstrahlen. Schatten und Schätze sind wie zwei Seiten einer Medaille. Im Schatten liegen unsere größten Schätze verborgen.

Schattenarbeit bietet die Möglichkeit, unbewusste und bisher verdrängte Anteile unseres Wesens wieder ans Licht zu holen. Wir können unsere Masken fallen lassen und uns in einem sicheren Rahmen in Bereiche vorwagen, vor denen wir Angst haben. So können wir auch Qualitäten oder Kräfte von uns leben lassen, von denen wir nicht einmal wussten, dass sie in uns wohnen.
Der Mut, sich diesen Seiten zu stellen, wird durch den Reichtum belohnt, der sich im Schatten verbirgt. Wenn wir die Schätze heben, dann steht uns die Energie wieder zur Verfügung, die bisher darin gebunden war, diese Anteile zu verstecken. Wir bekommen einen neuen Zugang zu den Fähigkeiten, die im Schatten liegen, können uns selbst und unsere Umwelt leichter annehmen. Unser Mut, Vertrauen und Selbstausdruck werden gestärkt.

Beispiel

Wenn wir zum Beispiel unsere Aggression verdrängt haben, weil unsere Eltern damit nicht umgehen konnten und sie schlecht fanden, dann führen wir vordergründig ein sehr friedliches und ruhiges Leben. Als Stammspieler haben wir dann oft einen schlappen kraftlosen Anteil auf der Bühne unseres Lebens. Denn wenn die Aggression verdrängt wurde, kommt die Balance zwischen Tatkraft und Ruhe aus dem Gleichgewicht. Das Gegenteil der Aggression, die besinnliche Ruhe, wird immer extremer und verwandelt sich durch dieses »zu viel der Ruhe« in ihre Untugend, die lähmende Schlappheit. Die Waage ist aus dem Gleichgewicht geraten und uns stehen in solchen Situationen weder Tatkraft noch Ruhe zur Verfügung. Wir sind nur schlapp und träge. Uns fehlt nicht nur Aggression als Gegenpol, sondern auch ihre verwandelte Kraft und Dynamik im Leben. Die Schlappheit macht sich auf der Bühne breit, während unsere Aggression im Keller vor sich hin grollt.
Unsere innere Polarität sieht dann so aus:

Verbannte Aggression ↔ Sich ausbreitende Schlappheit

Es ist Zeit, in den Keller hinabzusteigen und die Türen zu öffnen. Kommen Sie mit?


Zuerst finden wir zum Beispiel die Aggression, die in unserer Kultur seit der Kindheit oft verdrängt ist. Wenn wir die Aggression mit unserer Präsenz und dem Bewusstsein aus dem Keller holen, können wir ihr einen Platz auf der Bühne geben und sie konstruktiv führen. Das bringt Dynamik in unsere innere Teamaufstellung. Nun bekommt die lähmende Schlappheit durch die Aggression einen heilsamen Gegenspieler und beide können sich verwandeln. Die Schlappheit muss nicht mehr so extrem sein und kann ihre Gabe entfalten: die besinnliche Ruhe. Durch die Ruhe kann sich auch die Aggression weiter zur Tatkraft transformieren
und das Leben wandelt sich. Wo vorher Schlappheit war, ist nun eine besinnliche Ruhe und wo Aggression vorherrschte, taucht Tatkraft auf. Dies entspricht dem Wertequadrat von Schulz von Thun.
Tatkraft ↔ Ruhe
↑ ↑
Aggression ↔ Schlappheit

Ich gehe noch einen Schritt weiter. Die Tugenden Ruhe und Tatkraft, die sich entwickelt haben, sind nicht nur zwei heilsame Qualitäten, die sich ergänzen und miteinander in Balance sind. Mit diesen neuen Qualitäten wird auch der Raum geöffnet für eine neue Fähigkeit, die beides integrieren kann:
eine besonnene Tatkraft und eine kraftvolle Ruhe.
»In der Ruhe liegt die Kraft« wird spürbar, denn die Summe ist immer mehr als ihre Teile.
Um die Schätze zu heben, schauen wir also nach unseren verbannten Teammitgliedern. Wo sind sie? Hinter dem Vorhang oder im Keller?

Je nachdem, wie stark ein Teammitglied verbannt wurde, arbeite ich unterschiedlich damit. Sind die Gegenspieler noch im Hintergrund, weil wir uns so nicht zeigen oder so nicht sein möchten, können wir mit ihnen Kontakt aufnehmen. Nachdem wir jetzt schon eine Kellertür geöffnet haben, kann es noch persönlicher werden.

Liebe Teilnehmende des Online-Kurses, sind Sie bereit, Ihren eigenen Hintergrund zu erforschen?
Haben Sie schon einen unliebsamen Anteil in Ihnen identifiziert? Oder einen Anteil in Ihnen, der wenig Platz in Ihrem Leben hat? Ansonsten fragen Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin, die können Ihnen sicher Auskunft geben.

Übung: Kontaktaufnahme mit einem inneren Gegenspieler

Nehmen Sie bitte Platz und stellen Sie einen zweiten Stuhl bereit. Setzen Sie Ihren unerwünschten Anteil imaginär auf den anderen Stuhl und interviewen Sie ihn. Auch, wenn es Ihnen erstmal ungewohnt erscheint, können Sie die Fragen laut aussprechen und so mit dem Anteil reden, als wäre er ein Mensch.
Notieren Sie die Antworten und Empfindungen, die in Ihnen aufsteigen.

Wer bist du?

Was ist dir peinlich?


Worüber lästerst du?


Was ist deine Gabe?


Wofür kämpfst du?


Welche Gefühle und Überzeugungen verbinden sich mit deinem Verhalten?


Setzen Sie sich anschließend auf den anderen Stuhl, identifizieren Sie sich mit Ihrem unerwünschten Anteil und beantworten Sie die Fragen, die Sie eben gestellt haben. Nehmen Sie sich Zeit. Sie müssen dazu nichts wissen, sondern brauchen nur Ihre Präsenz. Die Antworten tauchen in Ihnen auf, wenn Sie bewusst gegenwärtig sind.
Wenn in Ihnen keine neuen Impulse mehr kommen, nehmen Sie die dritte Position ihres Selbst ein. Von hier aus können Sie auf Ihre Persönlichkeit und Ihren unerwünschten Anteil schauen und eine neue Perspektive einnehmen.

Wie könnte der neue Anteil integriert werden?

Wie können Sie die beiden unterstützen?


Nehmen Sie sich noch etwas Zeit und notieren Sie Ihre Impulse.

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