Kurs-Kapitel

1.2 Innere Teamkonferenz

       

Die Innere Teamkonferenz – ein Gespräch mit allen

In einer inneren Teamkonferenz versammeln sich alle inneren Teammitglieder und werden einzeln angehört. Die Teamchefin, unser ICH oder Selbst, findet heraus, worum es jedem wirklich geht. Dann sollen alle gemeinsam eine Lösung finden, mit der das Team leben kann. Die Chefin führt und moderiert den Prozess.

Was sagt jedes einzelne Teammitglied zum Heiratsantrag? Wie können die unterschiedlichen Bedürfnisse der Freiheitsliebenden, der Romantischen, der Abenteurer und der Liebenden einen Platz haben? Wie können wir die widersprüchlichen Bedürfnisse nach Nähe und Distanz, Freiheit und Bindung erfüllen und gleichzeitig frei davon bleiben? Wie können wir aktiv mit den Anliegen umgehen und die Ebene darunter erkennen? Wie könnte eine Lösung aussehen?
Das Finden der stimmigen Lösung ist in der Teamkonferenz ein ganzes Stück Arbeit und braucht eine gute innere Führung, aber es lohnt sich. Denn wenn ein Teammitglied wie zum Beispiel die Freiheitsliebende nicht gehört wird, dann wird sie sich auf eine andere Weise Gehör verschaffen und gegebenenfalls im Untergrund ihre Bedürfnisse erfüllen.

Durch Rollenspiel und Identifikation mit den verschiedenen inneren Teammitgliedern finden wir heraus, worum es den einzelnen wirklich geht, was ihre Gaben und ihre Grenzen sind. Die Liebende möchte zum Beispiel eine tiefe und stabile Bindung zu ihrem Partner, der Abenteurer Freiheit und etwas Neues. Auf den ersten Blick passt das nicht zusammen. Doch wenn wir tiefer schauen, ist das Bedürfnis des Abenteurers etwa, das Leben lebendig zu halten, Neues kennenzulernen, zu integrieren und dadurch zu wachsen. Das können auch Affären sein, müssen es aber nicht. Wenn der Abenteurer mit der Liebenden in Dialog tritt, können die beiden eine gemeinsame Lösung finden. Die Liebende möchte Nähe und eine langfristige Beziehung, kann aber auch Freiheit schenken. Der Abenteurer kann Kompromisse schließen und zum Beispiel auf sexuelle Abenteuer verzichten, denn sein Grundanliegen ist es nicht, sexuelle Freiheit zu erleben, sondern seine Grenzen zu erweitern und zu wachsen. Wenn er sich so entfalten kann und immer wieder auf die Bühne des Lebensdarf, bringt er seine Gabe als Geschenk in die Beziehung ein: mehr Reife, neue Impulse und Kontakte, mehr Lebendigkeit und Freude. Das kann für alle bereichernd sein.

Ich als Teamchefin entscheide, welchen Platz jedes Teammitglied bekommt, wer mehr Raum braucht als bisher und wer weniger. Dazu ist es nötig, die Bedürfnisse, Gaben und Grenzen jedes Teammitglieds zu kennen. Vor allem auch die der leisen, unterdrückten und langsamen Anteile, die sonst nicht gehört werden und sich anders bemerkbar machen müssen.
Wenn ich als Teamchefin ALLE Persönlichkeitsanteile im Blick habe, wird eine Meuterei oder Revolution unwahrscheinlich. Wenn sich jeder gesehen fühlt und seinen Raum zur Entfaltung bekommt, muss das Bedürfnis nicht destruktiv ausgelebt werden. Idealerweise sind dann alle in voller Kraft und einsatzbereit, wenn sie gebraucht werden. Die Kunst ist es, in einer Situation angemessen zu handeln. Dies geschieht, wenn zur passenden Zeit der passende Persönlichkeitsanteil auf die Bühne tritt: Wenn ich eine wichtige geschäftliche Verhandlung führe, sind zum Beispiel der Diplomat, die Weise, Durchsetzungsfähige und Einfühlsame von Vorteil. Der kreative Künstler und das innere Kind wären da fehl am Platz. Sie sollten vorher gehört werden, um ihre Botschaft in die Entscheidungsfindung einbeziehen zu können. Während der Verhandlung können sie dann gelassen im Hintergrund bleiben.

Übung:

Malen Sie bitte auf, welchen Platz die einzelnen Anteile in Ihrem inneren Team haben sollen. Wer soll in die erste Reihe, wer in den Hintergrund? Welche inneren Teammitglieder möchten Sie nah beianander haben und welche lieber weit entfernt voneinander?

So stelle ich mir mein Inneres Team vor:

Persönlichkeitsentfaltung mit dem Inneren Team Persönlichkeitsentfaltung bedeutet für mich, dass wir möglichst ALLE unsere inneren Teammitglieder kennenlernen, eine Beziehung zu ihnen aufbauen und ihnen einen angemessenen Raum einräumen. Oft integrieren wir nur die Anteile, die von uns und der Gesellschaft geschätzt werden. Die anderen sperren wir ein oder lassen sie nicht öffentlich sichtbar werden. Wollen wir jedoch unsere Persönlichkeit entfalten, brauchen wir Kontakt zu allen, also auch zu den Anteilen in uns, die noch zwergenhaft sind. Nur dann können wir unsere spezifischen Gaben und Talente entfalten. Alle Persönlichkeitsaspekte haben Gaben und Talente. Wenn wir etwa den Abenteurer einsperren, haben wir im Leben wenig Zugang zu Veränderung, Erneuerung und Lebendigkeit. Darf er gelebt werden, bekommen wir Zugang zu diesen Ressourcen. Wenn wir die Aggression unterdrücken, weil sie gesellschaftlich nicht anerkannt ist, fehlt uns im Leben auch deren Gabe, nämlich Kraft, Dynamik und Durchsetzungsvermögen.

Mit dem Ziel der Persönlichkeitsentfaltung beleuchten wir die Aspekte in uns, die in unserem Leben bisher sehr im Hintergrund oder sogar Untergrund waren. Die gute Nachricht ist: Wir haben alle Anteile in uns und müssen nichts im Außen suchen. Nur der Zugang zu bestimmten Aspekten ist im Laufe unseres Lebens verschüttet gegangen. Die Tür ist zu. Mit dem ersten Schlüssel können wir die Tür zu unseren leisen und lauten, lebendigen und ruhigen, offenen und distanzierten, mutigen und ängstlichen Anteilen öffnen und sie kennenlernen. Wie bei einer neuen Freundin nähern wir uns langsam an, lernen ihr Wesen kennen, verstehen und einschätzen und geben ihr dann einen Platz in unserem Leben. Wir bekommen sozusagen Zuwachs und können so die spezifischen Qualitäten der bisher ungelebten Aspekte entfalten.
Wie in äußeren Teams auch, löst das Aufnehmen eines neuen Teammitgliedes oft eine Dynamik aus. Es entstehen neue Koalitionen, Bündnisse, Identifikationen mit einzelnen Teammitgliedern, Streitigkeiten, Konkurrenz und so weiter. In einem inneren und äußeren Team werden nie alle ein Herz und eine Seele sein. Es gibt immer Konflikte. Deshalb braucht es zur Persönlichkeitsentfaltung eine konstruktive Kommunikationskultur sowie eine einfühlsame und klare Führung durch das Selbst, die Teamchefin.

Die Führung kommt aus der Mitte

Als Teamchefin haben wir die Aufgabe, alle unsere inneren Teammitglieder im Blick zu behalten, eine gute Beziehung zu ihnen aufzubauen und sie zu führen. Wir schaffen eine Atmosphäre, in der alle in ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Kraft sind, ihre eigenen Grenzen kennen und im Team integriert sind. Dazu ist eine gute Streitkultur mit Moderation wertvoll, so dass wir widersprüchlichen und unterschiedlichen Anteilen aus der Polarisierung helfen und sie synergetisch zusammenführen. Manchmal müssen einzelne Teammitglieder gefördert und Außenseiter integriert werden, andere brauchen klare Grenzen und weniger Raum. Wenn jeder seinen passenden Platz bekommt, entsteht aus unserem inneren »Haufen« ein Team.


Im Idealfall haben wir ein geniales Inneres Team, das einsatzbereit ist und miteinander gut im Kontakt. Wenn wir als Chefin innerlich zentriert sind und wissen, dass die Mannschaft hinter uns und unseren Entscheidungen steht, können wir gleichzeitig offen sein für die konkrete Situation. So können wir spontan schauen, wer in uns in welcher Situation in den Vordergrund treten soll und wer besser im Hintergrund bleibt. Dazu braucht es die Führung aus der Mitte, in der wir bewusst und zentriert sind. Körperlich gesehen wohnt unsere Führung, das Selbst oder ICH, rechts von unserem körperlichen Herzen. Es ist der Ort, auf den wir instinktiv zeigen, wenn wir »Ich« sagen. Im Herzen sind wir zentriert und kraftvoll. Wenn wir mitten im Leben stehen beziehungsweise in unserer Mitte ruhen, können wir klar und ruhig Stellung beziehen sowie selbstbestimmt und situationsgerecht handeln.

Wenn die innere Führung fehlt

Leider lernen wir in der Schule nicht, uns selbst zu führen. Erst wenn wir merken, dass wir uns irgendwie »komisch« verhalten oder etwas nicht funktioniert, kommen wir uns selbst auf die Schliche.

Beispiel: Innerer Kritiker auf dem Chefposten

Eine Seminarteilnehmerin erzählte mir, sie sei ziemlich deprimiert und bekomme sowohl privat als auch beruflich kaum etwas zustande. Jede Idee werde innerlich abgewürgt und sie sei sehr antriebslos und lustlos. Ich habe mit ihr zusammen ihr Inneres Team aufgemalt und sofort sprang uns ihr innerer Kritiker ins Auge. Es gab auch einen leisen Anteil in ihr, der noch keinen Namen hatte und den sie überhörte.
Wir holten zwei Stellvertreter aus der Gruppe und machten ein Rollenspiel mit diesen beiden inneren Anteilen. Ich interviewte den Kritiker.
»Worum geht es dir, Kritiker?« fragte ich den Stellvertreter. Er antwortete:
»Mir geht es um Macht!« Das war deutlich sichtbar, denn er schüchterte den leisen Anteil, der ihm zusammengekauert gegenüber saß, ziemlich ein. Wenig später platzte es aus dem Kritiker heraus: »Ich bin der Chef!«


Ja, genau das war es! Er hatte die Führung des Teams übernommen. Der schüchterne Anteil teilte klar seine Bedürfnisse mit, nachdem ich ihn gestärkt hatte: »Ich möchte aufstehen, in meine Kraft kommen und meine vielen Ideen umsetzen.« Und er fügte dann leise hinzu, seinen Blick auf den Kritiker gerichtet: »Sag du mir, wie ich es machen soll!« Er bat den Kritiker um die Erlaubnis.


Was ist hier passiert? Ich erklärte der Teilnehmerin:
»Das ist ja interessant. Sie haben einen sehr starken inneren Kritiker. Seine Persönlichkeit ist gut ausgebildet und er sagt Ihren anderen inneren Teammitgliedern, was sie machen dürfen und was nicht. Er entscheidet über den Raum, den die anderen bekommen – und zwar ziemlich egoistisch, denn er möchte an der Macht bleiben. Die anderen hören auf ihn und akzeptieren ihn als Chef. Das ist ein festes Gefüge. Es scheint, als sei Ihre Teamchefin schon lange in Urlaub. Und wie das so ist, wenn die Chefin lange weg ist, dann übernimmt ein anderes Teammitglied die Führung. In Ihrem Fall der Kritiker.«

Jetzt hatten wir den Knackpunkt. Alles passte. Es ging nicht um einen Streit zwischen den lauten und leisen Stimmen innerhalb des Teams, sondern um die fehlende Führungsqualität. Wenn der Kritiker führt, dann tut er das, was er am besten kann: kritisieren. Er kritisiert alles und jeden. Im Innen und Außen. Und das zeigt seine Wirkung. So kommt man natürlich nicht in die Handlung, in Freude oder Kreativität. Genau das erlebte die Teilnehmerin. Bei jeder neuen Idee gab es etwas zu meckern und auszusetzen, und von der Freude war sie weit entfernt.

Führungscoaching für die innere Chefin

Mit dem Wissen über den inneren Kritiker war in meiner Arbeit mit der Seminarteilnehmerin
der nächste Schritt zur Lösung klar: Sie braucht ein Führungscoaching und keine Konfliktlösung im Team.
• Wie kann ihre Teamchefin wieder die Führung ihrer Persönlichkeit übernehmen?
• Wie kann sie den Kritiker auf seinen angemessenen Platz verweisen?
• Welche Qualitäten braucht sie dazu?

Die Teilnehmerin hatte das Muster und die Angriffe des Kritikers erkannt und abgewehrt und stieg inhaltlich nicht darauf ein. Nach langer Zeit übernahm sie die Führung und verwies den Kritiker in seine Schranken, denn er braucht klare Grenzen und Aufgaben. Die Seminarteilnehmerin war nun bereit, ihn zu integrieren. Wir überlegten gemeinsam, wo der ideale Platz für den Kritiker sei und welche Aufgaben er konstruktiv übernehmen könne. Uns kamen zwei verschiedene Möglichkeiten in den Sinn, wie sie den Kritiker klar führen kann.

a) »Willkommen. Da hinten ist dein Platz.« (Wertschätzung und Platz im Hintergrund).
b) »Komm bitte zu mir. Ich möchte hören, was du wahrgenommen hast und was wir
verbessern können. Dann entscheide ICH.« (den Kritiker nah an sich heranholen und
ihn eng führen).


In beiden Fällen wird der Kritiker durch klare Worte und eine klare Führung wertgeschätzt und bekommt von der Chefin seinen Platz. Einmal ist er nah an ihr, einmal im Hintergrund. Die Teilnehmerin ist nun für Angriffe und Verwicklungen sensibilisiert und gewappnet, sich angemessen zu verteidigen. Je nach Situation kann sie den Kritiker hinter den Vorhang schicken oder sich seine Meinung anhören. Um ihn nah an sich heranzulassen und einen engen Kontakt mit ihm aufzubauen, braucht sie eine starke Zentrierung in ihrer Mitte sowie gute Führungskompetenz. Wird der Kritiker integriert, seine Kraft genutzt und der innere Konflikt gelöst, entsteht aus der Selbstabwertung die Gabe, große Leistungen zu vollbringen.

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