Kurs-Kapitel

1.1 Inneres Team

       

Die Beziehung zu mir selbst – mein Inneres Team

Wenn wir in Beziehung treten, dann findet eine sichtbare Interaktion zwischen den Beteiligten im Außen statt, und gleichzeitig passiert etwas Unsichtbares in unserem Inneren. Innen und außen hängen zusammen und ein äußerer Konflikt löst meistens auch einen inneren Konflikt aus. Es muss nicht mal ein Konflikt sein – schon eine simple Bitte oder spannende Situation kann ein inneres Stimmenwirrwarr oder gar inneren Streit zur Folge haben. Wie alles, was von außen an uns herangetragen wird oder auf anderem Weg unsere Aufmerksamkeit erlangt. Bevor wir uns unseren Mitmenschen widmen, lenken wir unsere Aufmerksamkeit im ersten Schlüssel auf uns selbst und fangen im Inneren bei unserer Persönlichkeit an. Bei der Beziehung zu uns selbst geht es vor allem um die vielen verschiedenen Persönlichkeitsanteile, die wir in uns tragen – ein Modell, das der Hamburger Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun entwickelt hat und das in der Arbeit als Coach und Therapeutin oder auch in der Selbstklärung sehr wertvolle Dienste leisten kann.

Jeder von uns hat viele verschiedene Anteile, Stimmen oder Teammitglieder in sich: laute und leise, Frühmelder und Spätmelder, Innendienst und Außendienst, willkommene und unwillkommene. Diesen Teammitgliedern können wir verschiedene Namen geben, zum Beispiel: das innere Kind, der Zwerg, der Kämpfer, die Weise, der Abenteurer, der Zweifler, die Kreative, der Authentische, die Fürsorgliche, der Kritiker, der Friedensstifter, die Romantische, der Beobachter, die Ängstliche, der Perfektionist usw. Alle wollen ihren Platz und möchten sich entfalten. Und sie haben ganz unterschiedliche und zum Teil auch widersprüchliche Bedürfnisse, Fähigkeiten, Gaben, Geschenke und Begrenzungen. Das verkompliziert die Angelegenheit. Unsere Aufgabe als Teamchefin ist es, einen konstruktiven Umgang mit den verschiedenen Stimmen in uns zu finden und sie angemessen zu führen.
Haben Sie in Ihrem Leben schon einmal einen Heiratsantrag bekommen? Auf die Frage »Willst du mich heiraten?« melden sich wahrscheinlich unterschiedliche innere Stimmen zu Wort, zum Beispiel:

  • »Ja, total gerne! Ich möchte mit dir den Rest meines Lebens verbringen und mit dir durch dick und dünn gehen!« (die Liebende)
  • »Heiraten? Geht es überhaupt, dass Menschen ein Leben lang gerne zusammen bleiben?« (der Skeptiker)
  • »Wenn wir es schaffen, uns das Leben als Paar richtig schön zu machen, bin ich dabei.« (der Genießer)
  • »Aber nur, wenn ich auch weiterhin meine Freiheiten habe!« (die Freiheitsliebende)
  • »Das macht doch auch nicht den großen Unterschied. Wozu? Wir lieben uns doch und brauchen das nicht schriftlich!« (der Rationalist)
  • »Darauf hab’ ich schon lange gewartet. Wie schön, dass du mich fragst! Natürlich!« (die Romantische)

Manche Stimmen in uns sind laut und schnell, andere ganz leise und eher langsam. Einige Botschaften von ihnen teilen wir unseren Mitmenschen mit, andere behalten wir lieber für uns. Es gibt Personen in uns, die wir sehr mögen oder mit denen wir uns sogar identifizieren und Aspekte, die wir überhaupt nicht leiden können und die wir in unseren inneren Keller einsperren. All diese verschiedenen inneren Stimmen machen mit ihrer Dynamik unser inneres »Betriebsklima« aus.
Wie können sie alle zu einer Einigung und wir zu einer Entscheidung kommen? Soll ich nun heiraten oder nicht? Alle inneren Personen sind gleich wichtig und haben ihre Berechtigung und ernstzunehmende Bedürfnisse. Da braucht es eine gute innere Führung, um eine stimmige Lösung für alle Beteiligten zu finden.

Übung: So geht eine Teamkonferenz

Bitte suchen Sie sich einen ruhigen Ort mit mehreren Stühlen und nehmen Sie sich Zeit. Legen Sie Papier
und Stifte bereit und gönnen Sie sich ein paar ruhige Atemzüge.
Denken Sie jetzt an eine Situation, die für Sie schwierig ist und für die Sie sich mehr Klarheit wünschen.
Notieren Sie dann den äußeren Rahmen:
• Wie sind die Situation und der Kontext?

• Welche Personen sind beteiligt?

Wenn Sie den äußeren Rahmen skizziert haben, können Sie sich Ihrem Inneren zuwenden. Schreiben Sie dazu bitte Ihr Inneres Team auf.
•Welche Stimmen gibt es in Ihnen?
• Wer meldet sich laut und leise zu Wort?
• Was sagen diese Persönlichkeitsanteile?
Schreiben Sie den Namen und die Botschaften Ihrer inneren Teammitglieder auf, zum Beispiel:
•Abenteurer: »Ich will Neues erkunden und lebendig sein!«
• Freiheitsliebende: »Ich brauche genug Raum für mich!«
•Kreative: »Ich will mich frei ausdrücken!
• Rationalist: »Ich überprüfe und entscheide aufgrund der Logik!«
• Intuitive: »Ich traue meinem Bauchgefühl mehr als dem Verstand«
• Gelassene: »Immer mit der Ruhe!«
• Faulenzer: »Ich will die Seele baumeln lassen!«
• Kämpfer: »Ich will meine Ziele erreichen!«


Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und lauschen Sie den ruhigen und zarten Stimmen in Ihnen.
• Wer in Ihnen hat sich zu dieser Frage noch nicht zu Wort gemeldet?
• Wen haben Sie überhört?
Notieren Sie auch diese Anteile.

Sortieren Sie nun die verschiedenen Bedürfnisse und Botschaften. Um was geht es bei jeder einzelne Stimme wirklich? Das, was uns eine Stimme mitteilt, ist oft nicht das, was sie wirklich will. Um an die Essenz zu kommen, holen Sie sich bitte mehrere Stühle und setzen Sie Ihre verschiedenen Anteile imaginär jeden auf einen Stuhl. Nun setzen Sie sich nacheinander auf jeden Stuhl und tauchen mental und emotional in die Rolle ein. Finden Sie heraus, worum es wirklich geht. Bringen Sie die Bedürfnisse der einzelnen Teammitglieder zur Sprache und mit der Situation in Zusammenhang.
• Welche Bedürfnisse können hier erfüllt werden? Welche besser in anderen Situationen?
• Welche kreativen Möglichkeiten gibt es, dass jeder zu seinem Recht kommt?
Wenn Sie jede Stimme und Botschaft kennengelernt haben, stehen Sie wieder auf und schauen aus der
Rolle der Teamchefin auf ihre unterschiedlichen Anteile. Fassen Sie die unterschiedlichen Anliegen objektiv zusammen und finden Sie eine kreative Lösung, hinter der die meisten Teammitglieder stehen können.
Dazu können Sie probeweise Lösungsmöglichkeiten andenken und ihrem inneren Team vorschlagen,
zum Beispiel:
Wenn ich heirate, würden sich die Liebende, Romantische und Sicherheitsbedürftige freuen.
Der Abenteurer wäre skeptisch, der Skeptiker unentschieden, die Vergleichende dagegen. Was bräuchten
der Abenteurer, Skeptiker und die Vergleichende, damit sie sich auf eine Hochzeit einlassen?
Oder eine andere Variante: Wenn ich die Hochzeit ablehne, sind der Abenteurer und Skeptiker
erleichtert und blühen auf. Die anderen wären enttäuscht. Was brauchen die Liebende, Romantische und
Sicherheitsbedürftige, um in Beziehung ohne Hochzeit bleiben zu können?
Erfinden Sie Lösungsmöglichkeiten, mit denen alle Beteiligten gut leben können.

Bei der Beziehung zu uns selbst beleuchten wir die verschiedenen Aspekte unserer Persönlichkeit. Wenn wir mit allen Anteilen in Kontakt treten, mit den lauten und leisen, mit dem Innendienst und dem Außendienst, mit den beliebten Anteilen und den unbeliebten, dann entwickeln wir eine Beziehungskultur. Jeder möchte gehört werden und braucht einen Platz – wie in einem echten Team auch. Dazu brauchen die verschiedenen Anteile Entwicklungsräume und die Möglichkeit, auf der Bühne unseres Lebens aufzutreten. Keiner ist gerne die ganze Zeit im Keller oder hinter dem Vorhang. Die Freiheitsliebende braucht ihren Freiraum, die Romantische viel Nähe, die Liebende will für immer zusammen bleiben, der Abenteurer öfter mal was Neues. Wie kann das zusammenpassen?

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